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Samstag, 29.10.2016, 18:41:19

Die Heiterkeit – Pop & Tod I+II

Kurzrezension

Die Kälte verlangsamt sämtliche Teilchenbewegungen, bis sie am absoluten Nullpunkt schließlich ganz zum Erliegen kommen. Was für die Physik zutrifft, stimmt auch in der Musik. Die Heiterkeit beweisen dies mit dem Opener ihres neuen Albums: Die Kälte verlangsamt jegliche musikalische Aktivität, lässt Orgelsphären nahe am Nullpunkt wabern, zieht Gesänge in die Länge, bevor ein sich träge dahin schleppendes Schlagzeug zu einer verhaltenen Zunahme der Aktivität führt. Nur bloß nicht übertreiben …

Nein, keine Angst, das tun sie nicht. Auch auf ihrem mittlerweile dritten und bisher umfangreichsten Album bleiben Die Heiterkeit sich und ihren Fans treu. Stella Sommer (Gesang, Gitarre), Sonja Deffner (Keyboards), Hanitra Wagner (Bass) und Philipp Wulf (Schlagzeug) – kurz durchzuckt es eine_n: die Band zählt nun vier statt bisher drei Mitglieder und Nummer vier ist ein Mann! – bezirzen uns auch weiterhin mit The Cure’schen Schrammelgitarren, an New Order erinnernden melodiösen Basslinien, flächigen Synthies, tupfigen Pianos und nicoeskem Gesang, der sich jeglicher Gefühlsregung enthält. Kein Zufall, dass aus dem Logo der Band ein »Smiley« so heiter in die Welt blickt wie Theodor W. Adorno auf einem Porträtfoto.

Diese konsequente Versagung von Aufregung verweigert sich den sonst üblichen Spektakeln der Popkultur, der bunten Oberflächlichkeit und den simplen Botschaften der kontrollgesellschaftskonformen Subjektivierung und setzt all dem eine schwer zu fassende Vieldeutigkeit entgegen, die sich oft rätselhaft artikuliert. Die insbesondere von den Riot Grrrls genutzte Strategie des Schreis als radikal polyvalente Ausdrucksform wird hier umgekehrt: Friedhofsruhe widersetzt sich hegemonialer Sinnzuschreibung noch effektiver. Dennoch klingt das alles süß wie Pop und manchmal klebrig wie Zuckerwatte – nur ist die nicht bunt, sondern schiefergrau. So erzeugt das Album anstelle von Heiterkeit eine eigenartige Behaglichkeit.

Die Heiterkeit: Pop & Tod I+II, Buback, 2016.

von senest | permalink