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Sonntag, 04.08.2013, 12:14:09

Olaf Kaltmeier/Sarah Corona Berkin (Hrsg.): Methoden dekolonialisieren

Kurzrezension

Obwohl Pierre Bourdieu bereits gegen Ende der 1990er-Jahre darauf hingewiesen hat, dass epistemologische Konflikte zwangsläufig politische Konflikte sind, scheint diese Erkenntnis gerade in den deutschsprachigen Sozial- und Kulturwissenschaften noch immer nicht im Forschungsmainstream angekommen zu sein. Hier verorten nach wie vor Konzepte wie »Objektivität« oder »Neutralität« die Forscher_innen weit außerhalb ihres Feldes, selbstreflexive Fragen nach dem Erkenntnis- und damit auch Machtinteresse von Forschung werden nur selten gestellt, ein »Wissenskolonialismus«, in welchem einmal mehr der »Westen« eine privilegierte Stellung vor dem »Rest« einnimmt, wird weiter fortgeschrieben. Da Forschung aber durch die Produktion von Wissen Kontrolle über die soziale Welt und damit Macht erlangt, bedarf sie dringend einer kritischen (Selbst-)Reflexion.

Olaf Kaltmeier und Sarah Corona Berkin gruppieren als Herausgeber_innen des Sammelbandes Methoden dekolonialisieren um vier Oberthemen herum Texte, die den (Wissens-)Kolonialismus sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung kritisch hinterfragen. Dabei beziehen sich die hier versammelten Beiträge hauptsächlich auf die Arbeiten prominenter Autor_innen des postkolonialen Theoriediskurses wie beispielsweise Homi K. Bhabha, Edward W. Said und Gayatri C. Spivak, was nicht wirklich neu, aber immer noch notwendig ist. Originellerweise kommt im vorliegenden Band häufig Michail Bachtins Dialogbegriff zur Sprache, wodurch gerade die Forschungspraxis produktiv und mitunter überraschend verändert werden kann, wie die Texte zeigen.

Eine Gratwanderung vollzieht der Band, wenn es darum geht, seinen selbstformulierten Anspruch, auch den akademischen Diskurs zu dekolonialisieren, einzulösen. Konkrete Vorstellungen davon, wie auf das einleitend zu Recht aufgegriffene Problem horizontaler Forschung – nämlich wie akademisch produziertes Wissen wiederum für die »Beforschten« nutzbar werden kann – geantwortet werden kann, bietet am ehesten Kapitel III. Dennoch gibt, wem der akademische Diskurs zugänglich ist, der Band wertvolle Beispiele aus der Forschungspraxis an die Hand, die sich auch in anderen Kontexten nutzen lassen.

Olaf Kaltmeier/Sarah Corona Berkin (Hrsg.): Methoden dekolonialisieren. Eine Werkzeugkiste zur Demokratisierung der Sozial- und Kulturwissenschaften. Münster: Westfälisches Dampfboot 2012, 244 S.

von senest | permalink