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Montag, 06.01.2014, 11:04:36

Julia Reifenberger: Girls with Guns. Rape & Revenge Movies: Radikalfeministische Ermächtigungsfantasien?

Kurzrezension

Seit Beginn der Filmgeschichte gehören Vergewaltigung und Vergeltung zu den populären Themen des Kinos und bleiben bis in die Gegenwart ein immer wiederkehrender Bestandteil der Filmkultur. Verwundern kann dies nur auf den ersten Blick, erklärt sich die Popularität jeglicher Texte doch zu einem Großteil durch ihre semantische Vielschichtigkeit und Offenheit. Diese sind im Genre des Rape & Revenge-Films in jedem Fall gegeben. Auch wenn sein zentrales Paradigma – »Ohne Gewalt keine Macht, auch und schon gar nicht über das eigene Selbst« (9) – in seiner Invarianz fast schon ahistorisch anmutet, sind die Fragen, die er aufwirft, extrem polarisierend: Worin liegt der Genuss der Erzählungen, die um die Stereotype von männlichen Tätern und weiblichen Opfern kreisen? Sind sie gewaltverherrlichend oder moralisch, reaktionär oder subversiv, politisch? Oder ist der R & R-Film gar eine radikalfeministische Ermächtigungsfantasie?

In ihrer eingängig geschriebenen und kurzweilig zu lesenden, filmwissenschaftlich fundierten Studie zeichnet Julia Reifenberger die Geschichte des Genres nach und arbeitet die Fragen, die es aufwirft, an im historischen Moment kontextualisierten Einzelfallanalysen auf. Denn eines ist klar: Pauschale Antworten lassen sich nicht geben. Mögen im Zentrum des R & R-Films allgemein hierarchisierte Geschlechterverhältnisse stehen – Männer haben Macht per se, Frauen müssen sich Macht erst aneignen –, so fällt ihre Darstellung und Verhandlung doch äußerst verschieden aus. Interessant hierbei ist, so eine Kernthese Reifenbergers, dass sich eine Linie der Aufhebung von Geschlechterbinaritäten [getting even] durch die Genregeschichte hindurch erkennen lässt. Diese gipfelt gegenwärtig in der Transgression von Geschlechtergrenzen durch Zurück-Vergewaltigung mithilfe technischer Apparaturen, wodurch die Geschlechtergrenze nicht mehr entlang der Linie Mann/Frau, sondern Mann/Cyborg verläuft bzw. niedergerissen wird.

Eben aufgrund dieser Schwerpunktsetzung ist die Studie ein wertvoller Beitrag zur Diskussion, die sonst um psychoanalytische Ansätze kreist, die die heterosexuelle Matrix des Begehrens kaum problematisieren. Eine endgültige Klärung der Frage, ob der R & R-Film eine radikalfeministische Ermächtigungsfantasie oder das Okkupieren und Ausbeuten feministischer Wirklichkeitsbilder im Dienste eines männlichen visuellen Lustgewinns ist, liefert die Studie nicht. Wie auch, wenn das Genre ein »ideologisch vermintes Feld« (107) ist und bleibt.

Julia Reifenberger: Girls with Guns. Rape & Revenge Movies: Radikalfeministische Ermächtigungsfantasien? Berlin: Bertz + Fischer 2013, 120 S.

von senest | permalink